„Rainer Rother [z.E.: Direktor der Deutschen Kinemathek und Sprecher des Kinematheksverbundes. – Erg. d. V.] plädiert für Beibehaltung der analogen Kopierwerke„, lautet die Schlagzeile der Initiative „Filmerbe in Gefahr“ zu einem Deutschlandfunk-Interview mit demselben im August 2018:
Immer, wenn das Kind in den Brunnen geworfen wurde, sind Krokodilstränen nicht weit. Was ist tatsächlich gemeint vor dem Hintergrund von Zwängen und Prioritäten? Eine endlose Kette verbaler Paradoxien tut sich auf.
Nicht erst auf dem Berliner Symposium „Vergangenheit braucht Zukunft“ 2016 ballte sich der Verdruß an der Filmrolle, sprich an klassischer Filmtechnik. Als Anwesender bestätige ich die Eindrücke von Dr. Dirk Alt, die er in „Kinematheken.info“ festhält:
[…] Während des letzten Panels insistierte Diskussionsleiterin Prof. Dr. Barbara Flückiger gegenüber Prof. Martin Körber (Deutsche Kinemathek), zu den digitalen Katastrophenszenarien Stellung zu nehmen. Ihr war kein Erfolg beschieden, da den Vertretern des Kinematheksverbundes an einer Grundsatzdiskussion offenkundig nicht gelegen war. Eine stillschweigende Übereinkunft hinter den Kulissen schien zu besagen, dass nicht das Ob diskutiert werden sollte, sondern ausschließlich das Was und das Wie. Diese Verweigerungshaltung verhinderte im dritten Panel vollständig die Behandlung der „Grundsatzfrage: Digitales oder analoges Langzeitarchiv?“, die bereits als Folie projiziert worden war, jedoch die Absicht konterkariert hätte, die digitale Speicherung alternativlos erscheinen zu lassen.
Diesen Standpunkt vertraten insbesondere der Präsident des Bundesarchivs, Dr. Michael Hollmann, der an beiden Panels teilnahm, der künstlerische Direktor der Deutschen Kinemathek, Dr. Rainer Rother, und der Leiter des Filmarchivs der Deutschen Kinemathek, Prof. Martin Körber. Hollmann begründete die ausschließlich digitale Sicherungsstrategie des Bundes mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten auf der einen Seite und mit der digitalen Zeitenwende auf der anderen: denn in Zukunft sei das Digitale „das genuine Medium“, und da man somit ohnehin gezwungen sei, digital zu archivieren, sei es nur logisch, vollständig auf das Digitale umzuschwenken. Die Zwangslage, in welche die Filmerbe-Institutionen durch den Medienumbruch geraten seien, veranschaulichte er an dem Bild vom Brückenbau, der den Übergang vom einen Ufer zum anderen ermöglichen sollte, bei dem der Anfang der Brücke jedoch bereits zusammenbreche, bevor noch das andere Ufer erreicht sei.
Während Rainer Rother den Analogfilm nur noch als Gegenstand von „Nostalgie“ gelten lassen wollte, diskreditierte Martin Körber die Analogisierung digitaler Filme bzw. die Re-Analogisierung von Filmscans als Schaffung „eines weiteren analogen Problems“. Das Einlagern von Filmbüchsen erschien Körber schlechterdings als Anachronismus, denn das „Herumliegenlassen“ sei gleichbedeutend mit „dem Tod jeder Medienkunst“. Dies führte ihn zu dem befreienden (oder selbstberuhigenden?) Schluss, dass ein digitales System, das (aufgrund der Notwendigkeit von Migration und Transkodierung) zu einem „dauerhaften Datenmanagement“ zwinge, eindeutig vorzuziehen sei. […]
Neben der Entfremdung von der traditionellen filmischen Technik, wiewohl sie nach wie vor in USA, aber auch in europäischen Archiven im Schweden, in der Schweiz und in Österreich am Leben erhalten wird, steht in Deutschland selbst das Aufheben vorhandenen Archiv-Materials zur Disposition – es soll zumindest partiell aussortiert werden. Und dieser Tage auch die intakten, auf modernstem Stand befindlichen Filmkopierwerke des Bundesarchivs. Daniel Kothenschulte erläutert in der „Frankfurter Rundschau“ die vehemente Absage der Institutionen zur Fortexistenz eines Filmkopierwerks, welches den Digitalisierungsprojekten das Geld entzöge:
In ihrer Replik gaben Rainer Rother und Martin Koerber von der Stiftung Deutsche Kinemathek zu bedenken: „Ein solches Vorgehen würde in hohem Maße Mittel binden, ohne ein sichtbares Ergebnis zu liefern.“
Gerhard Midding projiziert in „epd-Film“ gar ein düsteres Szenario:
Die Filmkopie bestreitet ihr letztes Gefecht. Es scheint so aussichtslos, dass der mexikanische Kameramann Guillermo Navarro (Oscarpreisträger für »Pans Labyrinth«) das Zelluloid zum Weltkulturerbe erklären lassen will. […]
Ihre Entscheidung hat die UNESCO bislang noch nicht getroffen. […] Sie werden sich fragen, ob die Filmrolle fortan nur noch als Symbol weiterexistieren wird (immerhin besitzt sie größere emblematische Strahlkraft als das aktuell gängige Trägermedium Festplatte) oder ob es nicht vielleicht doch erstrebenswert ist, dass sie ein zumindest museales Dasein fristen darf.
Falls die UNESCO der Petition Navarros stattgeben sollte, könnte der Bundesregierung ein ähnlicher Gesichtsverlust drohen, wie ihn die Stadt Dresden erlebte, als sie sich fahrlässig durch den Bau der Waldschlösschenbrücke um ihren Platz auf der Liste des Weltkulturerbes brachte. Als die grüne Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner im Februar eine mündliche Anfrage zur Praxis der Vernichtung historischen Filmmaterials beim Bundesarchiv/Filmarchiv stellte, erhielt sie von der Regierung eine so entschiedene wie niederschmetternde Antwort. Aus wirtschaftlichen Gründen werde das Archiv seine analogen Kopierwerke in Berlin und Koblenz schließen und sich ganz auf die digitale Konservierung des Filmerbes konzentrieren.
Bereits zur Restaurierungs-Tagung „Vergangenheit braucht Zukunft“ in 2016 hinterfragt Midding den Wertekosmos eines beliebig changierenden Kinematheksleiters:
Auch Rainer Rother vom Berliner Filmmuseum vertrat eine Gedächtnisinstitution, die Überkommenes verwahren muss. Einer Nostalgie für die 35mm-Kopien mochte er nicht das Wort reden. Warum sich auch gegen die Zeit stemmen? Die Archive stünden am Ende der Nahrungskette und müssten nachvollziehen, was die Branche macht, und in Deutschland gebe es nun einmal keine analoge Filmproduktion mehr. (Ich ertappte mich dabei, wie ich kurz an die Worte eines Schurken aus »Spectre« dachte: »It’s not personal. It’s the future.«) [….] In der dritten Diskussionsrunde, die von der Filmwissenschaftlerin Barbara Flückiger immer wieder zackig auf Spur gebracht wurde, ging es um Strategien und Techniken der Langzeitverwahrungen. Flückiger, die sich auf die Moderation wie auf einen Vortrag vorbereitet hatte, malte per Power Point das Schreckgespenst eines doppelten Schwarzen Lochs an die Wand: den Verlust des analogen Materials und den von digitalen Produktionen, deren Trägermedien obsolet werden könnten. Dienstleister und andere Fachleute konnten ihr diese Sorge nicht gänzlich nehmen.
Von Vorschlägen zu einer „geregelten Musealisierung der Kinokultur“ berichtet nun „Filmerbe in Gefahr“ im April 2018:
Lars Henrik Gass, Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, plädiert in einem Interview mit Christiane Hoffmans für Die Welt für eine „geregelte Musealisierung der Kinokultur“. Er fordert, zumindest in allen Großstädten Kinematheken einzurichten, um die Kulturpraxis Kino zu erhalten. Die Digitalisierungsinitiative der Bundesregierung erfasse nur die Digitalisierung von deutschen Filmen; sie fördere auch nicht „den performativen Teil, also die Aufführung in einem Saal.“
Gass weist darauf hin, dass auch digitale Filme ins Kino gehörten: „Was nützt mir eine digitalisierte Kopie, wenn der Film nicht so gezeigt werden kann, wie die Filmemacher es vorgesehen haben. Natürlich könnte man argumentieren, dass eine digitale Kopie im Netz gut verfügbar ist, aber das entspricht nicht der ursprünglichen Präsentationsform. Eine solch einseitige Förderung wäre ein weiterer Schritt zum Abbau unserer Kinokultur.“
Eine Filmrolle ist genuin an den performativen Akt im kinematographischen Raum angewiesen, das Digisat ist es keineswegs, weil ubiquitär verfügbar.
Welches Medium ist demnach schützenswert, welches ist wirklich bedroht? Alles bisher auf Filmbasis Eingelagerte und aus gutem Grund archivarisch Aufgenommene kann und muss also aufgehoben werden. Es ist sogar Entwarnung in der Lagerfrage zu verkünden: denn es kommt nun – nach Einstellung der Serienfilmkopierung für die Filmtheater seit 2013 – kaum Material mehr nach, die Lagerlogistik ist beherrschbar, vorhandene Archivräume sind weitgehend intakt und verfügen über eine hervorragende Kühlung (in Lausanne bis zu 30 Grad minus), weshalb auch der Zersetzungsprozess einiger gefährdeter Materialien nahezu gestoppt werden kann und der Druck eines Digitalisierungs-Countdowns, wie von der Deutschen Kinemathek in Gang gesetzt, relativiert wird.
Was zweifelsfrei als Filmerbe kurzfristig gefährdet ist und mangels Klimatisierung der Gefahr der Zersetzung anheim fällt, ist das nicht professionell gelagerte Material einiger säumiger Filmfirmen und Produzenten – außerhalb der bewährten Archive dem Glücksfall überlassen.
Macht man diese selbstverständliche Bestandsaufnahme, erstaunt die Begründung für das Krisenszenario seitens der Kinematheksfunktionäre und einiger ihr vertrauender Filmwissenschaftler, alles staatlich ordentlich Gelagerte vollständig digitalisieren zu müssen oder gar Auswahlkriterien für eine „Arche-Noah“-Aktion tatsächlich oder vermeintlich bedrohter Güter auszuspinnen.
Man muß von einer Verzerrung einerseits, aber auch von Geschäftsinteressen neuer Branchen und der Archiv-Kuratoren ausgehen, die etwas revolutionieren wollen und am Ende eine Kostenlawine lostreten, die in keinem Verhältnis zur erhofften „Zugänglichkeitsmachung“ von Filmen steht und die Parole ausgibt, daß Filmrollen nicht zugänglich sind: das stimmt allemal für Diejenigen, die zu bequem sind, sie aus der Büchse zu heben.
Zugänglich sind Filmmaterialien mehrerer hunderttausend konservierter Filmtitel nach wie vor dort, wo 35mm-Projektion noch existiert und auch dort, wo sie aufbewahrt/archiviert werden; übrigens eine Wechselbeziehung. Allzu viele Projektionsanlagen muss es auch nicht geben, um sie zugänglich zu machen: die noch vorhandenen reichen aus und ausgebaute sind oftmals über Nacht wieder einbaubar. Der neue Leiter des Bundesarchivs, Herr Dr. Hollmann, hielt dies für kaum möglich, so groß wie Projektoren eben seien, aber man sollte nicht als Entscheider in Branchen intervenieren, deren filigranes Geflecht unbekanntes Land ist.
Aus anderem Grunde gerät das Filmerbe in Vergessen: es ist der Bedarf, die Nachfrage nach einem Großteil der Filmgeschichte, leider so verhalten, dass auch eine digitalisierte Variante unter dem Ladentisch oder auf Streaming-Portalen zu verstauben droht. Mit dem Schwinden der analogen Film- und Kinotechnik schwindet auch die Notwendigkeit der exklusiven Auswertung in eigens dafür errichteten Theatern, weil andere mediale Portale ein in ein Digisat verwandelten Film schneller und effizienter amortisieren. (Es verschwindet damit auch der soziokulturelle Austausch sich versammelnder Menschen, die sich mit jedem digitalen Quantensprung regressiver gerieren, anstatt sich verantwortlich anzuschauen und dabei reale Beziehungen aufbauen.)
Es ist gar nicht die Frage, ob man das Streamen und Migrieren von Contents und Digisaten begrüßt oder verurteilt, sondern was mit Filmrollen geschieht, die ähnlich der Musik-Wiedergabepraxis auf traditionellen Musikinstrumenten in dieser Form instrumentell konzipiert waren und sich Aufführungsstätten eroberten. Im Idealfall sollten sie reproduziert werden, Film auf Film, und der aktuelle Erfolg solcher Praxis zeigt diametral zum Digisat interessante und progressive Alternativen gerade in soziopolitischer und gesellschaftlicher Heranbildung von Identität, Bildung und Geschichtsverständnis.
„Film verstehen“ heißt immer mehr, das Material eines Kunstwerks auf sein Ursprungsmaterial zurückzuführen, zu reproduzieren und in willigen Filmtheatern aufzuführen. Kino – wofür Filme einst gedreht wurden.
Laut den Codizes der FIAF haben im weiteren aber auch die Synchronfassungen einen kulturellen Wert. Tastet man den FIAF-Kodex an, würden alsbald Originalmischbänder dem Orkus übergeben werden. Oder auch wertvolle 35mm-Technicolor-, Magnetton- oder 70mm-Kopien ausrangiert und dem Essig-Syndrom verfallen, weil sie synchronisiert sind. Paradox deshalb, weil in vielen kommunalen Kinos oder auch auf Berlinale-Retrospektiven mit dem Begriff „Originalfassung“ geworben wird, aber immer mehr in Bild- und Tonqualität verfälschende oder migrierte Fassungen zum Einsatz kommen und existente, vorbildliche Archivalien schon nicht mehr systematisch abgefragt werden.
Man wird sich zwar an das „Kassieren“ weiterer Kamera-Negative vorläufig nicht mehr heranmachen, weil daran der Begriff des „Originals“ gekoppelt ist und die Presse endlich darüber berichtete. Aber qualitativ beeinträchtigte Benutzerstücke (= Filmkopien) möchte man nach Anregung der deutschen Kinemathek offenbar ausforsten. Um, das ist zu hinterfragen, zugleich den Abbau von Filmprojektion zu forcieren? Oder war es umgekehrt: der angeblich vollständige Abbau der Filmprojektoren legitimierte zur Forderung, benutzte Film-Verleiherkopien zur Disposition zu stellen und Filme nur noch als Digisat zur Auslieferung zu bringen? Das wäre dann ein Teufelskreis.
Martin Koerber von der Deutschen Kinemathek erwähnte des öfteren, daß man ja nicht jede verfärbte und verstreifte Verleihkopie aufbewahren müsse. Natürlich kann man dies im Fokus ultimativer Qualitätsforderungen verstehen, aber mit vielen solcher Andeutungen wurde das bisher – im besten Sinne konservativ – auf Materialerhalt festgelegte Bundesarchiv deutlich erschüttert. Es stieg anscheinend die Furcht, hinter dem digital-euphorischem Kinematheksverbund „hinterherzuhängen“ oder funktionslos zu werden, also ihm folgend fortan nur noch zu digitalisieren.
Martin Körber, zugleich Leiter Abteilung Audiovisuelles Erbe, beantwortete in diesem Sinne im Mai 2018 meine Anfrage, warum von der Berliner Kinemathek keine filmauthentischen Restaurierungen auf Filmkopie mehr beworben würden, wie folgt:
- Die analoge Technologie bietet nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten der Bearbeitung, die eine authentische Wiedergabe der Vorlagen in vielen Fällen nicht erlaubt.
- Für analoge Restaurierungen gibt es viele der dafür benötigten Materialien nicht mehr, für zahlreiche Verfahren gibt es auch keine Dienstleister mehr, die solche Restaurierungen zu angemessenen Preisen und der notwendigen Kompetenz anbieten.
- Es gibt für analoge Bearbeitungen keinen Etat im Haushalt und keine Fördermöglichkeit, wohl aber derzeit Fördermittel für Digitalisierungen.
- Analoge Kopien sind im Kino nicht mehr einsetzbar, da es kaum noch Projektoren gibt. Von den analogen Kopien aus kann man keine anderen Formate (DVD, VIdeo on Demand etc., TV-Master) ableiten, ohne dass hohe Zusatzkosten entstehen.
- Analoge Kopien sind sehr verwundbar und werden durch den Kinoeinsatz schnell beschädigt. Digitale Kopien sind demgegenüber unverwundbar, solange die Masterdateien in einem gut geschützten Archiv zur sofortigen und nahezu kostenfreien Neuanfertigung der Vorführkopie zur Verfügung stehen.
Simon Wyss, ehemals schweizer Kopierwerksbetreiber, widerspricht dessen Fatalismus deutlich:
Es stimmt nicht, daß…
- „die analoge Technologie nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten der Bearbeitung bietet, die auch eine authentische Wiedergabe der Vorlagen erlaubt.“ Was für ein hohles Blabla! Der Belichtungsumfang aktueller Dupliziermaterialien (von Kodak, Fuji, Agfa und Ilford erhältlich) steht dem digital verarbeitbaren Leuchtdichteumfang nicht nach. Puncto Farbtiefe hält die gestufte Digitaltechnik mit der stufenlosen fotochemischen nicht mit.
Es stimmt nicht, daß… - „für analoge Restaurierungen es viele der dafür benötigten Materialien nicht mehr gibt, es für zahlreiche Verfahren auch keine Dienstleister mehr gibt, die solche Restaurierungen zu angemessenen Preisen und der notwendigen Kompetenz anbieten.“ Der spezialisierten Labore sind in Europa ein Dutzend. Bei Bedarf bin ich auch sofort zur Stelle.
Es trifft wohl zu, daß… - „für analoge Bearbeitungen keinen Etat im Haushalt und keine Fördermöglichkeit, wohl aber derzeit Fördermittel für Digitalisierungen gibt“.
Das Folgende ist wieder Beweis von Ahnungslosigkeit, wenn nicht Unfähigkeit, sich richtig auszudrücken, so pauschalisiert ist das: - „Analoge Kopien sind im Kino nicht mehr einsetzbar, da es kaum noch Projektoren gibt. Von den analogen Kopien aus kann man keine anderen Formate (DVD, Video on Demand etc., TV-Master) ableiten, ohne dass hohe Zusatzkosten entstehen“.
Wie viele Kinobetriebe mit Filmtechnik müssen am Laufen sein, damit Archivmaterial sein Publikum findet? - „Analoge Kopien sind sehr verwundbar und werden durch den Kinoeinsatz schnell beschädigt. Digitale Kopien sind demgegenüber unverwundbar, solange die Masterdateien in einem gut geschützten Archiv zur sofortigen und nahezu kostenfreien Neuanfertigung der Vorführkopie zur Verfügung stehen.“
Das Wort Kopie, lat. und ital. copia ( = Menge, Masse) widerlegt das Gesagte. Kopien sind zum Verbrauch bestimmt. Stehen deswegen keine Gipsnachbildungen wertvoller Steinbildkunstobjekte in den Museen? Gibt es nicht seit Jahrhunderten Abschriften und Nachgemaltes für den pueblo? Gegen den letzten Punkt läßt sich nichts einwenden: Alles für Nichts ist der uralte Opportunismus.
(zit. aus https://www.filmvorfuehrer.de/topic/22528-initiative-filmerbe-in-gefahr/)
Wir befinden uns immer deutlicher in einem Wertekarussell: Drei Monate nach der erneuten Klarstellung durch Prof. Martin Koerber vollzieht die Deutsche Kinemathek mit Dr. Rother eine Wende zur analogen Filmkopierung und fordert den Erhalt der Filmkopierwerke? Erst gestern warnte er doch davor: „Ein solches Vorgehen würde in hohem Maße Mittel binden, ohne ein sichtbares Ergebnis zu liefern.“ (s.o.).
Erinnern wir uns daran, daß das BKM und die Ausschüsse des Bundestags eindeutig von der Leitung des Kinematheksverbundes (d.h. der Berliner) instruiert wurden, wie dringend eine sofortige Digitalisierung zu finanzieren sei. Voraussetzung für frei werdende Gelder war die Schließung der hervorragenden Filmkopierwerke des Bundesarchivs in Berlin und Koblenz. (Veräußert wurden bereits Entwicklungsmaschinen des Filmkopierwerks in Koblenz an das Schweizer Filmarchiv, soweit auffindbar – d.h. endgültige Fakten geschaffen. Folgt jetzt Berlin, und wer stemmt sich dem entgegen?)
Bereits vollendete Tatsachen (?) machen es leichter für den Rhetoriker der Digitalisierungsanträge, Dr. Rother, sich populistisch auf Seiten der Traditionalisten zu stellen, für die jetzt, holterdipolter, ein Filmkopierwerk zu gründen sei (denn das, das man nutzen könnte, wird zeitgleich stillgelegt). Elegant nimmt man dem letzten Pochen auf Erhalt von „Film auf Film“ den Wind aus den Segeln und hätte – ganz angekommen „am Ende der Nahrungskette“ – sogar eine Rechtfertigung parat, vielleicht in dieser Art: Wir haben alles Mögliche versucht, aber das Schicksal hat es anders gewollt.
Ein Kinematheksverbund wurde als Digitalisierer zugleich zum Gefährder des Filmerbes, unterstellt gar ein Kollege von mir. Vielleicht hätte auch George Orwell an dieser eleganten und tröstenden Gratwanderung seine Freude gehabt: „Krieg ist Frieden; Freiheit ist Sklaverei; Unwissenheit ist Stärke“.
verfasst am 01.09.2018 von
Jean-Pierre Gutzeit
(Vorstandsvorsitzender Kinomuseum Berlin e.V.)