„Zugang gestalten!“ 2016: ein Tagungsbericht (AZ)

Am 17./18. November 2016 fand in Berlin zum 6. Mal die Konferenz „Zugang gestalten! Mehr Verantwortung für das kulturelle Erbe“ statt. Über die Tagung, die 2016 unter dem Motto „Nachhaltigkeit“ stand, soll im Rückblick berichtet werden, wobei sich dieser Bericht ganz auf die mit dem Filmerbe in Zusammenhang stehenden Inhalte konzentriert.

In seiner Einführung verwies Dr. Paul Klimpel zunächst auf den nur allmählichen Wandel der Strukturen in den Institutionen, die mit den technischen Umbrüchen vielfach nicht Schritt hielten – ein Problem, welches durch fehlendes Bewusstsein insbesondere in kleineren Einrichtungen noch zugespitzt werde. Klimpel verwies sodann auf einen fundamentalen, indessen immer wieder zu beobachtenden Widerspruch: auf den Versuch, digitale Langzeitarchivierung und Erhaltungsstrategien in zeitlich befristeten Projekten voranzutreiben. Angesichts der Tatsache, dass ein „accidental survival“ digitaler Medien ausgeschlossen sei, verschärfe die Projektform vielfach den allgemein zu konstatierenden Mangel an Nachhaltigkeit.

Ein Vortrag von Fabian Hucks, gehalten in Vertretung für Siegmund Ehrmann MdB, Vorsitzender des Ausschusses für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages, griff die am 19. Oktober 2016 im Kulturausschuss aufgeworfenen Fragen auf und betonte insbesondere den dort bekundeten Konsens, dass „das Original“ angesichts der Digitalisierung nicht zurückstehen könne, seine dauerhafte Erhaltung vielmehr prioritär sei. Die Digitalisierung des Filmerbes laufe bereits, der Bund habe hierfür soeben den Bundeshaushalt auf drei Millionen Euro ab dem Jahr 2018 aufgestockt; die Länder freilich „müssen nun nachziehen“.

Cinema Futures (2016), Foto: Mischief Films, CC BY-NC-ND 3.0

Im Rahmen der Tagung fanden am ersten Abend Filmvorführungen im Kino Arsenal mit anschließender Podiumsdiskussion statt. Eröffnet wurde dieser Teil des Abends mit dem Dokumentarfilm Cinema Futures des österreichischen Filmemachers Michael Palm. Dieser Beitrag fand breiten Anklang und wusste insbesondere durch sein mit Charme und Witz vorgetragenes Plädoyer für den Originalerhalt historischer Filme zu gefallen, ohne dabei den allseits zu beobachtenden Trend ins Digitale zu schmähen. Dem abendfüllenden Dokumentarfilm schloss sich ein kürzerer Werkstattbericht über das Labor für antiquierte Videosysteme am Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe an, welcher eigens für die Konferenz produziert worden war.

In der anschließenden Podiumsdiskussion – moderiert durch Paul Klimpel – diskutierten Dr. Michael Hollmann, Präsident des Bundesarchivs, Dr. Barbara Flückiger, Professorin für Filmwissenschaft an der Universität Zürich sowie Dr. Dorcas Müller vom Labor für antiquierte Videosysteme/ZKM. Die Runde wurde von Klimpel mit einer Feststellung eröffnet: Da über den Originalerhalt des Filmerbes nicht mehr debattiert werden müsse, solle man diesen doch gleich zum Konsens und zur Grundlage des Kommenden erklären – eine Aufforderung, die Dr. Hollmann zum Anlass nahm, sich ein wiederholtes Bekenntnis zum Originalerhalt, wie er es bereits auf vergangenen Veranstaltungen ausgesprochen hatte, zu ersparen.

Auf die Frage nach dem Prozedere der Sicherung des Filmerbes im Bundesarchiv erklärte Dr. Hollmann, die Zukunft des analogen Films sei nicht rosig: Aus wirtschaftlichen Gründen werde man „in der Zukunft auf die digitale Sicherung übergehen“ – eine Aussage, die Klimpel Anlass zu der Feststellung gab, es werde somit künftig keine analogen Sicherungspakete mehr im Bundesarchiv geben, analoger Film mithin nicht mehr als genuines Medium zugänglich gemacht.

Die Diskutanten: Dr. Michael Hollmann, Professor Dr. Barbara Flückiger, Dr. Paul Klimpel, Dr. Dorcas Müller

Barbara Flückiger äußerte sich sodann zum „Double Black Hole“ – einem Szenario, demzufolge bereits produzierte wie künftig zu produzierende Inhalte dem digitalen Vergessen anheimfallen könnten, weil ihre Speicherung unzulänglich erfolgt. Frau Flückiger verwies darauf, dass Digitalisate grundsätzlich eine Reduktion des Ausgangsmaterials darstellten und die nun anzuwendenden Digitalisierungsprozesse bislang nicht hinreichend definiert seien. Die weitergehende Abbildung materieller Eigenschaften und Informationen analoger Filme erscheine dringlich; sie plädierte insbesondere für eine reflektiertere Vorgehensweise bei der Digitalisierung. Nicht einmal die analoge Umkopierung sei stets in der Lage, die Ausgangsmaterialien hinreichend abzubilden; dennoch sei sie überzeugt, „dass wir mit den digitalen Mitteln umfangreicher abbilden können als analog“ und mahnte zu Pragmatismus: Verluste seien so oder so zu erwarten. Um diese zu minimieren, „müssen [wir] parallel dazu lobbyieren, was das Zeug hält“. Mit dem Abbau der kopiertechnischen Maschinen im Bundesarchiv gehe auch der Abbau von handwerklichem Wissen einher. Sie verwies auf die Planungen zum Aufbau eines filmtechnischen Kompetenzzentrums in Österreich, mit dem der Erhalt von analoger Technologie und analogem Know-how angestrebt werde.

Auf die Frage Klimpels, ob es vielleicht auch im Bundesarchiv einer entsprechenden „Annexkompetenz“ für die analoge Filmkopierung bedürfe, erwiderte Dr. Hollmann, ein durch das Haus in Auftrag gegebenes Gutachten komme zu dem Schluss, dass alleine für die Digitalisierung der Filme im Bundesarchiv 580 Millionen Euro erforderlich wären. Eine Zurverfügungstellung dieser Summe sei illusorisch, eine duale Strategie mithin erst recht nicht bezahlbar. Gäbe es freilich eine Möglichkeit der Finanzierung: „Himmel, warum denn nicht?“

Dem Publikum wurde anschließend Gelegenheit zu Wortmeldungen gegeben. Auf eine Frage, wann die Schließung des Kopierwerkes im Bundesarchiv erfolge, antwortete Michael Hollmann, es werde zunächst noch der vorhandene Rohfilm aufgebracht, die Schließung werde indessen bald erfolgen. Bezüglich der Kosten sei die mangelnde Auslastung des Kopierwerks das entscheidende Kriterium. Eine weitergehende Analogisierung, etwa durch Anfertigung langzeitstabiler Farbauszüge für besonders wertvolle Farbfilme, sei bereits aus Gründen der Lagerkapazität indiskutabel; das Bundesarchiv müsse bereits jetzt Jahr für Jahr einen höheren Millionenbetrag für gemieteten Lagerraum aufbringen, da man eigene Magazine kaum noch besitze.

Stimmgewaltig schließlich noch eine Wortmeldung des Filmemachers Palm: er monierte, dass statt eindeutiger Bekenntnisse zum materiellen Filmerbe zumeist pragmatische Rahmenbedingungen erörtert würden. Angesichts des für alternativlos erklärten Abbaus der analogen Kopierstrecke erscheine ihm, es würden zwingend erforderliche Infrastrukturen – auch ihm Rahmen solcher Podiumsgespräche – für erledigt erklärt, als habe es eine Studie wie „The Digital Dilemma“ nicht gegeben. Palm griff hierbei einen Punkt auf, den bereits sein Film Cinema Futures nachdrücklich veranschaulicht hatte: dass Filmarchive – ob im analogen oder digitalen Bereich – in sehr großem Maße von der Industrie abhängig sind und etwa die weitere Rohfilmproduktion nur abgesichert werden kann, wenn die Archive der Industrie auch entsprechende Abnahmemengen garantieren. Palm stellte die rhetorische Frage, warum seitens der Filmarchive kein stärkerer Druck aufgebaut werde, um die Sicherung von Film auf Film zu gewährleisten. Ihm erscheine es so, als unterblieben solche Forderungen, weil es hierfür keinen tragfähigen Plan gebe – man lasse die Dinge laufen.

Michael Hollmann betonte, dass es nur möglich sei, das filmische Erbe anzunehmen, wenn auch eine ausreichende Ausstattung der Institutionen gewährleistet sei. An Palm gerichtet bestätigte er das noch fehlende Wissen um eine „richtige“ Strategie: doch stehenbleiben wolle er auch nicht, es müsse ja digitalisiert werden, auch aus wirtschaftlichen Erwägungen. Barbara Flückiger wandte daraufhin ein, dass man sich aktuell immer noch in einer Umbruchs- und Übergangsphase befände, in der die analoge Sicherung vorzuziehen sei: denn diese habe sich seit Jahrzehnten als nachhaltig bewährt.

Das Programm und die Dokumentation der Konferenz „Zugang gestalten!“ 2016 sind online verfügbar.